Die Fotografin
Martina Sandkühler sagt, wenn jemand ihr Studio betrete, um porträtiert zu werden, dann laufen in ihrem Kopf zwei verschiedene Programme ab: im einen grüßt sie freundlich, fragt nach dem Job, den
Vorstellungen und den Wünschen für die Fotos. In dem anderen Programm scanne sie den Menschen vor sich. Wenn man ganz genau hinschaue, sagt sie, erkenne man einiges vom Charakter. Lacht die
Person offen und befreit oder schmunzelt sie eher vorsichtig? Welche Ausstrahlung hat sie? Welche Form haben die Augen, die Lippen, hat der Hals? Sind die beiden Gesichtshälften gleich? Stehen
Haare ab? All das hat Einfluss auf die Wirkung. Ebenso wie die Haltung, die Position der Schultern, wie eine Person sitzt, wie sie atmet.
Martina Sandkühlers Blick will nicht entlarven, er ist einer, der nach dem Schönen sucht. Schön sei, sagt sie, was authentisch ist. Das, was zum Vorschein kommt, wenn sich jemand wohlfühlt. Wenn
eine Person die Fassade ablegt, also das, was sie gerne darstellen möchte. Sandkühlers fotografischer Blick ist jahrzehntelang geschult darin, Details wahrzunehmen und zu erkennen, welche davon
etwas über den Menschen verraten. Über die Zeit wurde dieser Blick fokussierter.
Der Blick der Experten ist kein übersinnlicher. Sie können auch immer nur das sehen, was da ist. Aber es scheint, als sei immer mehr da, wenn ein Experte oder eine Expertin darauf blickt. Als entfalte sich die Welt, ein Thema, ein Moment um so mehr, je mehr Ahnung jemand hat. Leidenschaften, Erfahrungen, und Wissen lassen uns in manchen Ausschnitten der Wirklichkeit Dinge sehen und erkennen, die anderen verhüllt bleiben. In anderen Fällen wiederum staunen wir, was andere sehen und erkennen können, wo sich uns selbst nichts offenbart.
Martina Sandkühler kennt den Menschen nicht, der vor ihr steht, nicht seine Geschichten, Sorgen, Hoffnungen. Ihr Blick ist eine Momentaufnahme. Manchmal kommt es vor, sagt sie, dass sie Fotos
mache, auf denen sich die Person nicht wiedererkennt oder mag. Weil sie eine andere Vorstellung von sich hatte. Vielleicht die, wie sie sich morgens im Spiegel angeschaut hat, oder die von einer
besonderen Fotografie aus ihrer Erinnerung. Meist ist es die Vorstellung eines jüngeren Ichs. Ah! Sagen die Leute dann, wenn sie sich auf den Fotos sehen, so sehe ich also aus! Und fragen sich,
ob sie nicht nur anders aussehen, als sie denken, sondern auch anders sind.
Manchmal nimmt sich Martina Sandkühler ihre Kamera und streift durch die Straßen ihres Viertels oder die Natur. Sie achtet auf Formen, Symmetrien, Schatten und Licht, auf besondere Szenen.
»Fotografieren ist dann ein sehr einsamer Vorgang«, sagt sie. »Mit der Kamera nehme ich viele Nuancen wahr, aber ich fotografiere sie, ohne Einfluss zu nehmen. Ich bin eins mit mir und dem, was
ich sehe. Mein Blick steht im Vordergrund. Ich bin, ich gehe, ich schaue, ich drücke ab. Meine Aufmerksamkeit ist dann erhöht und sehr fokussiert. Das genieße ich sehr.“
Besser durchblicken. Von Martina Sandkühler können wir lernen, wie man auf Fotos gut aussieht: Erstens: In die Linse schauen, bis man das Auge der Fotografin sieht. Zweitens: Um sich zu
entspannen, mit der Körperhaltung spielen. Mal das Gewicht vom einen auf den anderen Fuß verlagern, mal die Schulter nach vorne drehen. Drittens: An etwas denken, was man mag, zum Beispiel die
eigenen Kinder, Schokoladeneis, das Meer. Viertens: Wer auf einer Veranstaltung oder Feier ist, wo Fotografen um ein Lächeln bitten, nicht lange zieren. Aufhören zu essen und dann ungezügelte
Freude. So geht es am schnellsten vorbei.